DE-CONSTRUCT TO CONSTRUCT
Dieses Kapitel lädt zum Nachdenken über die komplizierten Wechselwirkungen zwischen menschlichem Verhalten und Stadtlandschaft ein und verleiht der Dekonstruktion im Sinne einer kreativen Kraft eine neue Bedeutung. Vom Graffiti kommend verändern die Künstlerinnen und Künstler Objekte im öffentlichen Raum und führen sie neuen Zwecken zu. Sie verwandeln „übersehene Aspekte der Stadtlandschaft“ in hintergründige Kunstwerke. Indem sie der vorsätzlichen „Zerstörung“ einen neuen ästhetischen Sinn verleihen, erheben sie das Alltägliche zu emblematischen Darstellungen des Stadtlebens.
Während sie konventionelle Ansichten von Zerstörung und Transformation infrage stellen, entlocken die Künstlerinnen und Künstler übersehenen Objekten ihre verborgene Schönheit. Wenn sie mit städtebaulichen Elementen arbeiten, lassen sie sich auf ein Spiel mit Aneignung und Wiederaneignung ein. Dies ermöglicht uns, vertraute Objekte in einem neuen Licht zu sehen. Dieses Kapitel lädt dazu ein, die Möglichkeiten zu erforschen, die sichtbar werden, wenn das Vertraute zerlegt wird, um etwas Neues zu schaffen. Hier sehen wir, wie das Aufbrechen von etwas Altem neue Wege für Kreativität, Innovation und Ausdruck eröffnen kann.
Einführung
In diesem Kapitel geht es darum, den Blick auf das Alltägliche und Vertraute zu verändern. Was passiert, wenn wir etwas Bekanntes zerlegen, um daraus etwas völlig Neues zu schaffen? Die Kunst spielt oft mit diesem augenscheinlichen Widerspruch: Dekonstruktion oder gar Zerstörung kann eine kreative Kraft freisetzen und somit Neues und Positives hervorbringen.
Die Künstlerinnen und Künstler, deren Wurzeln im Graffiti liegen, verwenden urbane und städtebauliche Elemente auf radikal neue Weise – sie verwandeln unauffällige Teile des Stadtbildes in bedeutungsvolle Kunstwerke. Sie ermöglichen uns, vertraute Objekte und Zeichen in einem neuen Licht zu sehen. Diese Arbeiten zeigen uns, dass es in der Kunst keine festen Regeln gibt – und dass selbst das Zerlegen oder Zerstören etwas Schönes hervorbringen kann.
Moses & Taps
Das Markenzeichen von Moses & Taps? Das coole Cyanblau und knallige Gelb, kombiniert mit dem Kürzel TM, das für den Begriff Trademark und „Taps-Moses“ steht. Die zwei deutschen Graffiti-Künstler haben sich 2007 zusammengetan und radikal diese Kunstform erweitert – stilistisch und konzeptuell. Ihre Werke sind weltweit zu finden – auf Zügen, in Bahnhöfen und urbanen Ecken. Mit Gespür für Satire spielen Moses & Taps mit Symbolen und Beschriftungen aus dem Bahnverkehr und verwandeln sie in humorvolle Meisterwerke.
Wie aber kann das Feeling der Straße in den Museumsraum gebracht werden? Ihre neueste Arbeit, der Post-Graffiti, stellt genau diese Verbindung her. Speziell für unsere Ausstellung kreiert, greift das Kunstwerk das Prinzip ihrer zusammengefalteten Graffitimalerei auf. Ursprünglich inspiriert von mit Planen abgedeckten Güterwaggons in ihrer Serie SHIMMS setzen sie diese Idee nun auf einem Paketlieferwagen um. Das Werk Post-Graffiti ist ein geniales Beispiel dafür, wie Graffiti in den Alltag der Menschen integriert werden kann.
In Zeiten, in denen Onlinebestellungen boomen, bringt der Paket-Lieferwagen Graffiti direkt zu dir nach Hause. Also, beim nächsten Mal, wenn du ein Paket bekommt, halte die Augen offen – vielleicht entdeckst du ja ein neues Meisterwerk von Moses & Taps. Kunst ist überall, du musst nur hinschauen!
Und übrigens: Ihr erstes Buch, INTERNATIONAL TOPSPRAYER, das 2011 erschien, ist das meistverkaufte Graffitibuch aus Deutschland – ein absolutes Must-have für alle, die sich für diese Kunstform interessiert!
Vhils
Vhils hat eine einzigartige visuelle Sprache entwickelt – und das mit ziemlich unkonventionellen Mitteln: Hammer, Meißel, Schlagbohrer und sogar Sprengstoff! Der 1987 in Lissabon geborene Vhils ist ein Künstler, dessen künstlerische Praxis darin besteht, Schichten zu entfernen anstatt sie hinzuzufügen. Schicht für Schicht arbeitet er an Oberflächen und formt so Stück für Stück das Kunstwerk.
Schon im Alter von 13 Jahren begann Vhils mit Graffiti, inspiriert von den rasanten urbanen Veränderungen in seiner Heimatstadt. Während seines Studiums in London experimentierte er mit vielen anderen Medien und Techniken. Schließlich entwickelte er seinen heutigen Ansatz: durch Zerstörung etwas zu erschaffen, wie er es selbst ausdrückt. Diese „Mural-Skulpturen“ scheinen förmlich aus den Wänden herauszuwachsen.
Vhils hat seine Arbeiten bereits in über 30 Ländern realisiert. Dabei setzt er sich kritisch mit der Identität des jeweiligen Ortes und seiner Menschen auseinander. Viele seiner Porträts zeigen anonyme Menschen, denen er auf diese Weise eine besondere Sichtbarkeit verleiht.
Ein Beispiel seiner Serie Scratching the Surface siehst du hier. Dieses Wandporträt wurde 2015, bevor das Museum eröffnet wurde, direkt vor Ort geschaffen. Es war mehrere Jahre lang hinter Vitrinen verborgen.
Ein weiteres eindrucksvolles Werk von Vhils kannst du im Hof des Museums entdecken. Die Skulptur Diorama entstand 2017 durch das Formen von Beton in einem Gussstück. Mehr als 30 Personen haben bei der Entstehung dieser Arbeit mitgewirkt. Einen Einblick in den außergewöhnlichen Vorgang ermöglicht das Video in unserem Mediaguide.